Bauers Depeschen


Dienstag, 16. Januar 2018, 1905. Depesche



GEGEN DEN RECHTSRUCK

Zusammen mit dem Bündnis STUTTGART GEGEN RECHTS, einer breit aufgestellten Initiative, lade ich zu einem Treffen in den Kunstverein ein. Wir wollen die Lage und Aktionen angesichts des Rechtsrucks behandeln. Hier unser offener Brief:



Liebe Freundinnen und Freunde,

vor dem Hintergrund des Rechtsrucks, der sich bei der Bundestagswahl in einer neuen Dimension geäußert hat, stehen wir (nicht nur in Stuttgart) vor der Frage, wie wir damit umgehen.

In den vergangenen Monaten bekamen wir von verschiedenen Seiten signalisiert, dass viele Menschen es als ihre Pflicht begreifen, aktiv zu werden, oft aber nicht wissen, wie und mit wem. Sie wünschen sich stärkere Vernetzung und besseren Austausch unter allen Aktiven. Dafür wollen wir gern eine Plattform schaffen.

Deshalb laden wir euch zu einem offenen Forum ein – und haben in der Nachbarschaft des Landtags, wo die AfD aktuell die drittgrößte Fraktion stellt, einen Ort dafür gefunden:

Der Württembergische Kunstverein stellt uns dankenswerterweise seine Räumlichkeiten im Kunstgebäude am Schlossplatz zur Verfügung.

Termin: Samstag, 10. Februar 2018. 14 Uhr bis etwa 17 Uhr.

Wir planen ein lockeres Treffen. Es geht ums Kennenlernen, um Austausch, um Tipps. Darüber stehen Fragen wie:

> Welchen aktiven Beitrag kann die Kulturszene zur Arbeit gegen den Rechtsruck leisten?

> Wie sehen unterschiedliche Strategien gegen Rechts aus, wo gibt es Anknüpfungspunkte?

> Welche Erfahrungen in der Arbeit gegen Rechts gibt es, wo können wir voneinander lernen?

> Wie können wir unsere Aktivitäten gegen Rechts in Stuttgart und Region ausbauen und stärken, was gibt es 2018 zu tun?

Wir werden dazu kurze Diskussions-Inputs vorbereiten. Darüber hinaus wünschen wir uns eure Beiträge zu diesen Fragen. Wir freuen uns, wenn Ihr (als Organisation oder Einzelperson) eure Themen, Ideen und Denkanstöße mitbringt.

> Den Soundtrack zum Thema liefern uns zwischendurch der Freestyle-Rapper Toba Borke und der Beatboxer Pheel.

Wir freuen uns sehr, wenn Ihr dabei seid – mit Blick auf unsere Vorbereitungen wären wir für eine Anmeldung dankbar: stuttgart-gegen-rechts@freenet.de.

Mit solidarischen Grüßen

Aktionsbündnis Stuttgart gegen Rechts

und Joe Bauer (Mitinitiator)





Hört die Signale!

MUSIK ZUM TAG



Die aktuelle StN-Kolumne:

KOLONIALWAREN

Es war ein kalter Sonntag, als ich auf Schnipselsuche ging. Meine Art, Schnipsel zu sammeln, hat nichts zu tun mit der Pfadfinderübung, die man auch „Schnitzeljagd“ nennt und zu einem Ziel führt. Meine Ziele sind dort, wo ich lande.

Noch einmal besuchte ich „Gärten der Kooperation“, die inzwischen zu Ende gegangene Ausstellung zum Gesamtwerk des Schriftstellers und Filmemachers Alexander Kluge im Württembergischen Kunstverein. Eigentlich hatte ich nicht vor, in dieser großartigen Schau noch etwas zu sammeln außer letzten Eindrücken. Dann aber musste ich beim Blick auf ein Video doch noch etwas in mein Notizbuch kritzeln: Einer der größten Söhne unserer Stadt, klärte mich der Film auf, war womöglich nicht nur ein Genie, sondern auch ein Schuft. Seine Name ist Hegel.

Dabei geht es nicht um den häufig gehegten Verdacht, der Philosoph habe seine „Phänomenologie des Geistes“ unter dem Einfluss beträchtlicher Mengen Haschisch verfasst. Es ehrt ihn, wenn er sich bei der Arbeit einige Nasen Schnupftabak voller Cannabis gönnte, um sich abzugrenzen von all diesen „Schlafmützen“, die er nicht leiden konnte.

Ich spreche von Hegels Abgründen, die in der Sexismusdebatte bisher trotz drückender Beweise keine Rolle spielten. Der große Denker trieb es in Jena mit seiner Zimmervermieterin und zeugte mit ihr einen Sohn. Dies allein wäre heute nicht weiter erwähnenswert, weil eine solche Nummer spätestens seit Horst Seehofer keiner Karriere mehr schadet. Hegel allerdings, so heißt es, habe seinen Sohn so schändlich ignoriert, dass der Verschmähte aus Verzweiflung bei den holländischen Kolonialstreitkräften anheuerte und in Indonesien an Malaria starb.

Das ist eine so traurige Oper, dass ich in der Ausstellung geradezu vorbestimmt auf ein weiteres Kapitel tödlicher Militärgeschichte stoßen musste. 2014 hat das Universalgenie Alexander Kluge bei Suhrkamp das Buch „30. April 1945“ veröffentlicht, Untertitel: „Der Tag, an dem Hitler sich erschoss und die Westbindung der Deutschen begann“. Der heutigen Westbindung begegnen wir zwar Tag für Tag, wenn unsere Hipster in coolem Outdoor-Outfit downtown am fettesten Hotspot ever über ihren Workflow talken. Von unserer wahren Westbindung dagegen wissen wir wenig.

Beim Blättern in Kluges Buch entdeckte ich einen Eintrag, der mich aufforderte, mein Notizbuch mit einem weiteren Schnipsel zu bereichern; diese kleine Geschichte liest man unter der Überschrift „Neuer Zweck für altes Grundstück“: „Über einem Grundstück in Stuttgart, das im April 1945 zerstört dalag und dessen Tiefkeller einst vier Stockwerke umfassten, die auch noch erhalten sind, aber zur Erdoberfläche verschlossen und überbaut wurden, ist ein technisches Gebäude entstanden, von dem aus US-Experten Drohneneinsätze planen und steuern, die in Afrika, vornehmlich in der somalischen Küstenregion, vermutliche Terroristen gezielt umbringen.“

Es geht um das Afrika-Kommando der US-Militärs, das Africom. Seit 2008 hat es seinen Sitz in den Möhringer Kelley Barracks. Die von dort aus gelenkten Drohnenangriffe bleiben in aller Regel geheim. Neu war mir in Kluges Buch eine Notiz über das Kelley-Barracks-Gelände: „In den Kellergewölben lagern noch jetzt, aber unerreichbar, Vorräte an Kolonialwaren aus der Zeit, bevor das ursprüngliche Gebäude abbrannte. Es handelte sich um ein Geschäftshaus, das sich mit der Einfuhr afrikanischer Produkte befasste.“

Demnach werden die Hinrichtungen Terrorverdächtiger in Afrika von amerikanischen Soldaten über einem Stuttgarter Keller voller alter afrikanischer Kolonialwaren geplant und ausgeführt. So absurd ist die Welt, auch vor unserer Haustür.

Das US-Militär hat den Globus in sechs Zonen für seine Kommandos eingeteilt. Vier davon sind in den USA stationiert, zwei in Europa – beide in Stuttgart. Neben dem Africom gibt es noch das Eucom. Selbst das Europa-Quartier in den Vaihinger Patch Barracks dürfte der Öffentlichkeit weniger bekannt sein als etwa das Vaihinger Hegelgymnasium. Zwar protestieren immer wieder Friedensinitiativen vor den Kasernen. Ein großes Thema aber ist das selten.

Beim Stichwort „demonstrieren“ finde ich unter meinen Schnipseln die Notiz, meinen Mitmenschen die Ausstellung „Kessel unter Druck“ über „Protest in Stuttgart 1945 bis 1989“ im Stadtarchiv ans Herz zu legen. Das Archiv in seinen schönen Backsteinbauten, einem ehemaligen Kolonialwarenhaus, wird das „Gedächtnis der Stadt“ genannt und steht in Cannstatt am Rand des Veielviertels, Bellingweg 21.

Die Ausstellungsmacher begrenzen ihre Dokumentation – vorläufig – auf die Zeit zwischen Kriegsende und Berliner Mauerfall und widerlegen eindrucksvoll das Klischee, im verschlafenen Kessel habe es vor Stuttgart 21 keine Protest­bewegungen gegeben. In den siebziger Jahren beispielsweise kämpften Männer und Frauen mit großem Mut gegen die Diskriminierung von Schwulen und Lesben. Andere stellten geradezu hellseherisch die Frage „Geht Stuttgart am Verkehr kaputt?“ und forderten ebenso weitsichtig „Stoppt die Spekulanten in Stuttgart!“. Der Stuttgarter Protest spiegelt nicht nur den Zeitgeist, er beweist auch Humor. Ein Plakat aus der Sponti-Ära zeigt einen Tiger mit Sprechblase: „Freunde, bleibt heiter – nicht nur der Häuserkampf geht weiter.“

Beim Thema Humor muss ich noch kurz erwähnen, dass ich meine Schnipseltour bei einem Käsekuchen im Café Königsbau so gut wie beendete hatte, als ich doch noch mal mein Notizbuch ziehen musste. Auf zwei Holztafeln am Eingang sieht man eine handschriftliche Hinterlassenschaft des Komikers Heinz Erhardt aus den sechziger Jahren. Wie viele seiner Kollegen ist er in der benachbarten Komödie im Marquardt aufgetreten – und hat dem erst vor wenigen Jahren neu gestalteten Café neben seinem Dank auch einen Zweizeiler gewidmet, der mir bei der Bewertung meiner Schnipsel künftig hilfreich sein wird: „Nicht alles, was sich reimt, ist ein Gedicht – nicht alles, was zwei Backen hat, ist ein Gesicht.“

Mit zusammengeklemmten Backen ziehe ich weiter.

 

 

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