Bauers Depeschen


Samstag, 12. August 2017, 1829. Depesche



 



FLANEURSALON mit ROLF MILLER

in UNTERTÜRKHEIM

Am 17. Oktober ist der Flaneursalon in Untertürkheim, an einem eher unbekannten Ort. Bei unserem Gastspiel in einem bizarren, zum Club ausgebauten Industriekeller machen der Halbsatz-Komiker Rolf Miller, das schräge Folklore-Duo Loisach Marci und die Balladensängerin Anja Binder mit. Vorverkauf - auch telefonisch: EASY TICKET



Hört die Signale!

MUSIK ZUM TAG



Die aktuelle StN-Kolumne:



LICHT

Womöglich war es das unsinnigste Unternehmen meiner bisherigen Spaziergängerlaufbahn: Erst irrte ich auf der Suche nach der Dieselstraße bei strömendem Regen in Feuerbach herum, dann peilte ich beim selben Sauwetter die Edisonstraße in Zuffenhausen an. Ich weiß, Adressen lassen sich leicht mithilfe eines Taschentelefons finden, sofern einer weiß, wo Norden und Süden ist. Was aber jucken mich Nord und Süd oder gar die heuchlerische, von Marketingfritzen gelenkte Wiederentdeckung einer Fortbewegungsart namens Spazierengehen.

Der Autoverkehr stinkt nach wie vor zum Himmel, und ein aufrichtiger Herumstiefler pfeift auf vorgegebene und deshalb langweilige Routen. Seine Devise lautet: Das Ziel steht im Weg, vorwärts – und nicht vergessen, Augen, Ohren und Nase zu öffnen.

Eines der zurzeit meistgebrauchten Wörter heißt Diesel. Aber wer denkt schon dabei an die tragische Geschichte des Herrn Rudolf Christian Karl Diesel: Geboren am 18. März 1858 in Paris, lange tätig in Augsburg, verschwunden am 29. September 1913 im Ärmelkanal auf der Fahrt nach London. Ausgerechnet auf einem Dampfschiff, dessen Maschine seit der Erfindung des Dieselmotors keine Zukunft mehr hat. Die Leiche des Ingenieurs wird im Wasser gefunden. Ob Selbstmord oder Verbrechen, wurde nie geklärt.

Zu seinem 150. Geburtstag, 2008, und zu seinem 100. Todestag, 2013, haben ihn die Medien noch einmal als Technikgenie gefeiert, als einen der bedeutendsten Ingenieure der Welt. Heute verfolgen wir die hitzige Debatte über das Dieselverbot. Dieser Streit hat mich, der aus Überlebensangst nie eigenhändig eine Motorhaube geöffnet hat, nach Feuerbach geführt. Die Dieselstraße liegt in der Nähe des Theaterhauses auf der Prag, wo gleich mehrere Tüftler auf Straßenschildern verewigt sind: etwa Maybach (Autos) und Dornier (Flugzeuge), ebenso die Herren Leitz (Aktenordner), Junghans (Uhren, ich besitze eine dieser Marke) und Hohner (Instrumente, ich spiele vorsichtshalber keins). Die klingenden Namen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich in diesem Industriegebiet höchst selten auf menschliches Leben treffe. In dem verwirrenden Niemandsland mit Baulöchern und Kränen entdecke ich allerdings Dinge, von denen ich nie zuvor gehört habe: das Synlab­Umweltinstitut, eine „Food & Eventlocation“ namens Work Station und eine „Schule für Popgesang“ namens Go Vocal. Ich staune, was es alles gibt in der Diaspora.

Die kurze Dieselstraße besteht weitgehend aus alten Wohnhäusern. Doch kommt man auch am riesigen Areal mit den Menschenskulpturen der Immobilienfirma MKI vorbei: „Hier treffen sich Anwälte und Künstler, Gastronomen und Ballettschülerinnen, Firmengründer und alte Hasen … “, heißt es auf der Homepage der Firma. Unübersehbar in der Dieselstraße ist auch das Gospel-Forum. Das stattliche Anwesen gehört einer Freikirche, die wegen ihrer erzkonservativen, hierarchischen Praktiken häufig kritisiert wird.

Die Straße erhielt ihren Namen 1937, in der Nazi-Ära. Dass Dieselmotoren bald für die internationale Kriegsmaschinerie missbraucht wurden, ist ein gutes Beispiel für Fluch und Segen vieler Erfindungen.

Wie andere Genies reibt sich Diesel auf zwischen schöpferischer Arbeit und wirtschaftlichem Druck, dem er als Geschäftsmann nicht gewachsen ist. Und wie andere Größen beschäftigen ihn die gesellschaftlichen Verhältnisse: Er hat die Vision von einer Wirtschaft, in der die Arbeiter die Güter selbst finanzieren, produzieren und verteilen – und durch eine „Volkskasse“ abgesichert werden. Über sein Buch „Solidarismus“ (1903) sagt er: „Dass ich den Dieselmotor erfunden habe, ist schön und gut. Aber meine Hauptleistung ist, dass ich die soziale Frage gelöst habe.“

Dieser Mann hat eine unendliche Geschichte, doch muss ich weiter nach Zuffenhausen. Die Edisonstraße liegt in der Nähe der Straßenbahnhaltestelle Wimpfener Straße und einer historischen Arbeitersiedlung: Der Volksmund hat sie aufgrund ihrer früher meist sozialdemokratischen Bewohner „Kommunistenblock“ getauft. Leider sind die Häuser schon zum Abriss verurteilt.

Thomas Alva Edisons Leben hat mich elektrisiert, als ich neulich Anthony McCartens Roman „Das Licht“ (Diogenes-Verlag) gelesen habe. Darin geht es um die unglückselige Verbindung des Mannes, der das elektrische Licht in die Städte gebracht hat, mit dem schwerreichen Banker und Unter­nehmer J. P. Morgan, der schon vor mehr als hundert Jahren die totale Deregulierung der US-Wirtschaft anstrebte – wie sie heute Donald Trump rigoros vorantreibt.

Die Edisonstraße liegt weit vom Schuss. Nach meinem Gang durch die beschauliche Vorgarten- und Eigenheimkulisse verirre ich mich auf meinem weiteren Weg durchs Grüne, komme zum Glück aber an Maisfeldern vorbei, die mich wochenlang ernähren könnten. Irgendwann hilft mir nur noch der ferne Klang einer Kirchenglocke, eine Straßenbahnstation zu finden.

Den Roman „Licht“ des neuseeländischen Schriftstellers und Drehbuchautors McCarten kann ich nur empfehlen. Großer Stoff, großartig erzählt: Es geht um Machtgier und Moral, um Fortschritt und Profit – und um zu Tode gegrillte Gorillas und Menschen. Edison hat den elektrischen Stuhl entwickelt. Und wer wie ich am Abend nach einem Regenausflug zufällig zwischen den Gebäuden des neuen Breuninger-Komplexes herumstolpert und die Buchstaben des Elektroauto-Unternehmens Tesla im Schaufenster leuchten sieht, wird erst recht „Das Licht“ lesen und sich auch mal, wie Alva Edison selbst, die Dunkelheit zurückwünschen. Im Buch erfährt man alles über seinen Widersacher George Westinghouse und dessen Gesinnungsgenossen, den schrulligen, serbischen Wechselstrom-Entwickler Nikola Tesla, geboren zwei Jahre vor Rudolf Diesel. Als in einem Disput Edison die Vorzüge seines Gleichstroms rühmt, radebrecht Tesla, der bald ebenfalls von J. P. Morgan finanziert wird: „Sie können nicht sagen, dass Gleichstrom ist sicherer. Das ist nicht sagbar.“

Sagbar ist heute: Der Konflikt zwischen der Diesel- und der Tesla-Fraktion wird sich zuspitzen und der Stinkemotor am Ende verlieren. Aber man braucht weder die eine noch die andere Karre, um sich in der Prärie der Stadt den Geschichten der Herren Diesel und Edison zu nähern.



 

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