Bauers Depeschen


Donnerstag, 03. August 2017, 1825. Depesche



 

Nachtrag: Stuttgarter Kickers - TuS Koblenz 1:1



FLANEURSALON mit ROLF MILLER

in UNTERTÜRKHEIM

Am 17. Oktober ist der Flaneursalon in Untertürkheim, an einem eher unbekannten Ort. Bei unserem Gastspiel in einem bizarren, zum Club ausgebauten Industriekeller machen der Halbsatz-Komiker Rolf Miller, das Folklore-Duo Loisach Marci und die Sängerin Anja Binder mit. Vorverkauf - auch telefonisch: EASY TICKET



Hört die Signale!

MUSIK ZUM TAG



Die aktuelle StN-Kolumne:



NECKARSTRASSE

Ich kam aus Kassel zurück: Documenta, Sie wissen schon. Ziel- und ratlos ging ich durch die Stadt. Unterwegs las ich auf meinem Taschentelefon, das Garten- und Friedhofsamt habe vorgeschlagen, die Freilichtbühne im Höhenpark Killesberg zu schließen. Versteh ich gut. Eine Behörde, die das Wort Friedhof im Namen führt und im reichen Stuttgart unter Personal- und Geldmangel leidet, muss ihrer Bestimmung ­gerecht werden: Im Kessel haben Totengräber Konjunktur. Geld fließt in aller Regel weit üppiger an die Betonköpfe und Stadtzerstörer als an die Pfleger der Natur.

Auf der Freiluftbühne – die wahrscheinlich nicht abgerissen wird – finden Konzerte statt. Im August vor drei Jahren hat uns auf dem Killesberg die große amerikanische Rocksängerin und Schriftstellerin Patti Smith eine unvergessliche Ode an Stuttgart gesungen: Darin ging es um die Begegnung der Dichter Arthur Rimbaud und Paul Verlaine in dieser Stadt (siehe oben den Link "Musik zum Tag“). Bekanntlich war ganz Stuttgart einst eine gut belichtete Bühne für Dichter und Denker. Heute geht es vorwiegend um die Verdichtung der Stadtkultur durch Einkaufszentren und unerschwingliche Wohnungen.

Zunächst wusste ich nicht, warum ich nach meinem Kassel-Ausflug ausgerechnet in der Neckarstraße gelandet war. Eine Weile ging ich herum und ergötzte mich an den stattlichen Werbetafeln des TV-Senders Comedy Central: Zuerst entdeckte ich, wohl zu Ehren meiner gestressten Darmzone, die Humor-Ausscheidung „Furzschlussreaktion“, dann den nicht minder witzigen Tusch auf das Wohl der Frauen: „Menosause“. Dieselbe TV-Anstalt setzt auch auf „Popolismus“, bewegt sich also in der Kunstgattung des medizinischen Kalauers.

In Gedanken war ich bei dieser Lektüre vermutlich schon unterwegs zum Neckar-Käpt‘n gegenüber der Wilhelma – und landete wenig später tatsächlich an diesem Höllenort. Die Cannstatter Anlegestelle der Ausflugsschiffe liegt hinter mehrstöckigen Containern und reichlich Gerümpel an der Monsterbaustelle „Rosensteintunnel“, neben den ersten Teilen der S-21-Brücke. Der Besitzer der Schifffahrtslinie, weiß Gott kein Gegner von Stuttgart 21, hat unlängst heftig über die ausbleibende Laufkundschaft geklagt und eines seiner vier Schiffe abgestoßen – wohl nicht zufällig auf den Namen „Stuttgart“ und somit nur auf ein anderes Wort für Ausverkauf getauft.

Über den Umgang mit dem Neckar bei uns muss ich nichts mehr zu sagen. Das „Stadt am Fluss“-Geschwätz des Oberbürgermeisters und seiner Wasserträger ist so sinnstiftend wie der Wortwitz des Comedysenders: In Stuttgart gilt der Neckar nicht mehr als ein Furz.

Zurück aus dem Baustaub und den Autoabgasen an der B10 ging mir in der Neckarstraße ein Licht auf, warum ich mich in diese Gegend verirrt hatte. Ich war in Kassel an einer Neubausiedlung namens Samuel-Beckett-Anlage vorbeigekommen und hatte auf dem Documenta-Gelände die Imbissstation Beckett‘s Biergarten gestreift. Seit den späten zwanziger Jahren pflegte der große irische Dichter und Dramatiker verwandtschaftliche und künstlerische Beziehungen zu Kassel. Wie heute auch unsereins: Hessen Kassel spielt in derselben Liga wie die Stuttgarter Kickers.

An der Stuttgarter Neckarstraße steht bekanntlich das Gebäude des SWR. Als der Sender noch SDR hieß, inszenierte Samuel Beckett sechs bahnbrechende Fernsehspiele, das erste 1966 unter dem Titel „Eh Joe“, das letzte 1985 („Was Wo“). Den Kontakt zwischen SDR und Dichter hatte der Beckett-Freund und Paris-Korrespondent Werner Spies hergestellt.

Zum 100. Geburtstag des 1906 geborenen Dichters drehte der SWR-Filmemacher Goggo Gensch die 90-Minuten-Dokumentation „Beckett – Lippen schweigen“. „Er hat immer im Parkhotel, Zimmer 422, gewohnt“, erzählt er. „Sehr gern hat er Forelle gegessen und Riesling getrunken. Im Studio musste stets eine Flasche Whiskey bereitstehen und während der Arbeit das Rauchverbot aufgehoben werden. Regie führte er grundsätzlich aus einem Zelt heraus – ausgestattet mit Monitor und Aschen­becher, Alkohol- und Wasser­flaschen.“

In der Neckarstraße saß der Literaturnobelpreisträger von 1969 oft in der Neckarklause, wo er dem Vernehmen nach Schwäbisch lernte (heute ist in diesen Räumen das Ristorante Da Toni & Laura). Es gibt die Anekdote, wonach ihm 1977 bei der Stuttgarter Bundesgartenschau – der erklärte Blumenverächter besuchte sie angeblich nur wegen der Bäume – eine Frau am Eingang in breitem Schwäbisch eine Rentnerkarte anbot. Der Dichter griff zu.

Rentner Beckett gefiel das triste Stuttgart so gut wie Kassel, dem er in seinem Roman „Traum von mehr bis minder schönen Frauen“ einige Zeilen gewidmet hat: „Hinab dann die kopfsteingepflasterte Gasse trauriger Weihnachtsbäume . . .“ Die Neckarstraße im Niemandsland wiederum würdigte er mit einem Gedicht – eine Variante lautet: „Versäumen Sie in Stuttgart nicht / sich die lange Neckarstraße anzusehen / der Anreiz des Nichts ist dort nicht mehr das / was er einmal war, weil man eben / den sehr starken Verdacht hat / mitten darin zu sein.“ Eine andere Variante ist so überliefert: „Vergesst nicht beim Stuttgart-Besehen / die Neckarstraße zu gehen. / Vom Nichts ist an diesem Ort / der alte Glanz lange fort. / Und der Verdacht ist groß: / hier war schon früher nichts los.“

Diese schelmische Betrachtung hält sich nicht unbedingt an die historischen Fakten: Früher stand an dieser sehr belebten Straße die Stadthalle, wo am 15. Februar 1933 kommunistische Widerstandskämpfer Hitlers Wahlkampfrede sabotierten, als sie mit einer Axt das Rundfunkkabel durchschlugen. Nach dem Krieg wurde auf dem Gelände der zerstörten Stadthalle der Althoffbau erstellt, bis 1956 war er Schauplatz politischer, kultureller und sportlicher Großveranstaltungen.

Der Dichter ist am 22. Dezember 1989 gestorben. Seine einstige Bleibe, das Parkhotel, hat man längst abgerissen. Eine Samuel-Beckett-Straße oder einen Samuel-Beckett-Platz gibt es bis heute nicht in Stuttgart.



 

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