Bauers Depeschen


Samstag, 19. November 2016, 1701. Depesche



Flaneursalon mit Christine Prayon

ES GIBT NOCH KARTEN

FÜR DIE ROSENAU

Liebe Gäste, "Die Nacht der Lieder" am 7./8. Dezember und die beiden Flaneursalon-Shows an Silvester im Theaterhaus sind ausverkauft. Karten gibt es noch für Sonntag, 11. Dezember: Da ist Joe Bauers Flaneursalon in der Rosenau. Die Stuttgarter Lieder- und Geschichtenshow. Durch den Abend führt die famose Kabarettistin Christine Prayon. Musik machen der Gitarrist Steve Bimamisa und - erstmals - die südafrikanische Sängerin Thabilé sowie der Rapper Toba Borke & und der Beatboxer Pheel. Beginn: 19 Uhr! Karten im Vorverkauf gibt es hier: RESERVIX - oder Telefon: 01806/700733



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LIED DES TAGES

 

Die aktuelle StN-Kolumne



DER JAHRESRÜCKBLICK

Die erste abgeholzte und elektrisch beleuchteten Tanne dieser Saison sah ich Mitte November an der Schwabstraße. Hat der Baum vor dem italienischen Straßencafé neben dem Bio-Supermarkt erst mal eine Weile die Ausdünstungen der Autos geschluckt, muss er sich fühlen wie zehn besoffene Weihnachtsmänner.

Nach der ersten Kollision mit einem Weihnachtsbaum in der Stadt ist es fast schon zu spät für meinen „Jahresrückblick“. Die ersten fundierten Jahresrückblicke im Online-Zeitalter sind schon am 1. Januar, kurz nach Mitternacht, zu lesen: Die Rückblicker fürchten um ihre Jobs, weil die Konkurrenz schneller sein und sie aus dem Klick- und Quotenrennen werfen könnte.

Die Wichtigtuerei beim Blick auf die vergangenen zwölf Monate verstehe ich bis heute nicht, auch wenn die Zahl Zwölf eine gewisse Symbolik hat: Wir alle kennen die verheerende Macht der zwölf Apostel, der zwölf Geschworenen und des Zwölffingerdarms. Und ändert man gar die Reihenfolge der Ziffern 1 und 2, steht man in Stuttgart erst recht vor einem tiefen Grab.

Gestern habe ich im Internet eine Liste mit den „Toten des Jahres 2016“ studiert und diesen traurigen Eintrag gefunden: „Am 10. Oktober verstarb überraschend der ‚Knochenbrecher’ Tamme Hanken im Alter von 56 Jahren. Hanken war den Fernsehzuschauern seit 2008 im NDR und auf Kabel eins durch verschiedene Formate als ‚XXL-Ostfriese’ und ‚Knochenbrecher on Tour’ bekannt. Er starb an Herzversagen.“

Ich bitte um Verzeihung, wenn mir diese Lektüre nicht das Herz bricht. Entweder habe ich zu wenig Fernsehbildung oder ein miserables Gedächtnis: Beim besten Willen kann ich mich weder an Herrn Hanke selber noch an seinen tragischen Tod im besten Knochenbrecheralter erinnern. Bis gestern war ich sogar der Meinung, der harte Junge Lemmy Kilmister sei erst in diesem Jahr gestorben. Aber das war bereits an Heiligabend 2015, mehr als zwei Wochen bevor ihm David Bowie in den Rock’n’Roll-Himmel folgte. Keine Bange, ich zähle jetzt nicht alle auf, deren Namen ich auch schon vor ihrem Tod anno 2016 gekannt habe. Mögen sie in Frieden ruhen und vom Rückspiegel verschont bleiben.

Die Listen mit den Toten des Jahres werden mindestens so gern gelesen wie die Todesanzeigen in der Zeitung. Aus gutem Grund schaue ich selber nie nach Todesanzeigen: Beim Zeitungslesen fühle ich mich oft so schlecht, dass ich fürchte, meine eigene zu entdecken.

Seltsamerweise erinnere ich mich noch genau, wie ich das Jahr 2015 in dieser Kolumne beendet habe. Ich stiefelte durch die Cannstatter Wohnsiedlung Muckensturm, weil ich dachte: Muckensturm klingt schwer nach Jahreswechsel; Silvester ist eine stürmische Angelegenheit mit gefährlichen Ritualen. Hören wir in Brechts „Dreigroschenoper“ (die gern zur Jahreswende gegeben wird) noch Mackie Messers wegweisenden Gangsterspruch „Erst kommt das Fressen, und dann kommt die Moral“ – so sagen die braven Leute heute auf der Silvesterparty: „Erst kommt das Fressen, und dann kommt das Fanal.“ Moral steht ja neuerdings nur noch für das Versagen der „Eliten“, der „Gutmenschen“ und „politisch Korrekten“.

Kaum ist die Schlacht am Buffet beendet, wird gefeuert und gebombt, was das Zeug hält. Seltsamerweise begrüßen die Menschen das neue Jahr mit Leuchtraketen – anstatt den Knallfröschen der Politik für ihre Schandtaten im alten Jahr mal ordentlich Feuer unterm Arsch zu machen. Diese Art Fanal nach dem Fressen wäre schon deshalb gerechtfertigt, weil die meisten politischen Verbrechen ja mit dem Versprechen auf eine bessere Zukunft begangen werden. Doch nach dem Festmahl sind die meisten Leute schlapp und schlaff: Bekanntlich ist Essen der Sex des Alters.

Damit sind wir mitten in Muckensturm, wo ich am Jahresende 2015 ein Straßenschild zu Ehren von Ferdinand Hanauer entdeckte. Und davon muss ich noch mal erzählen: Dieser jüdische Unternehmer hatte in Cannstatt eine Bettenfabrik gegründet, ehe er mit seiner Familie vor den Nazis in die USA fliehen musste und in Seattle eine neue Kissenfirma aufbaute. Sein Nachfahre in dritter Generation, der 1959 geborene Nick Hanauer, stieg mit dem Geld seiner Familie ins große Geschäft ein, investierte in Amazon und andere Internetprojekte und wurde Milliardär. Heute zählt er zu den Superreichen der USA und eckt mit seinen Ansichten regelmäßig an. In Seattle setzte er als engagierter Bürger einen Mindestlohn von 15 Dollar durch und warnte in der ARD die Deutschen vor dem TTIP. 2014 wetterte er in einem offenen Brief an seine „Mitmilliardäre“: „Seien wir ehrlich: Wir Superreichen besitzen unsere Reichtümer nicht, weil wir so genial sind. Wir verdanken sie denen, die unsere Produkte kaufen. Wenn wir diese Leute verarmen lassen, werden sie uns töten.“

In seinem langen Brief an die „stinkreichen Kollegen“ heißt es: „Unser Land entwickelt sich von einer kapitalistischen Wirtschaft zu einer feudalen Gesellschaft. Wenn sich unsere Politik nicht drastisch ändert, wird die Mittelschicht verschwinden (…). Wenn wir nicht bald etwas tun, um die eklatanten Ungerechtigkeiten in dieser Wirtschaft zu beheben, werden die Mistgabeln zu uns kommen. Keine Gesellschaft kann diese Art von wachsender Ungerechtigkeit auf Dauer aufrechterhalten.“ Die Schere zwischen Arm und Reich, so Hanauer, führe in den Untergang: „Am Anfang ist es ein Polizeistaat, dann kommen die Aufstände.“

Bei diesen Zeilen erscheint einem der Wahlsieg Donald Trumps 2016 alles andere als überraschend. Rück- und vorausblickend ist mir meine Silvester-Begegnung mit den Prophezeiungen des Nachfahren eines Cannstatter Federkissenfabrikanten weit wichtiger als der Aufstieg Kretschmanns zum Landesgottvater oder der gottserbärmliche Abstieg des VfB.

Eins aber muss ich noch sagen, bevor mich beim nächsten Feinstaubalarm der Weihnachtsbaum erschlägt: Dieses Jahr ist noch nicht gelaufen!







 

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