Bauers Depeschen


Dienstag, 16. April 2013, 1089. Depesche



 



FLANEURSALON-ALARM

Freitag, 17. Mai, 20 Uhr, Theater Rampe: Die Lieder- und Geschichtenshow mit Roland Baisch & Sohn Sam, Zam Helga & Tochter Ella, Toba Borke & Pheel - und unsereins ist auch dabei. Den Abend widmen wir der Rampe-Intendatin Eva Hosemann - leider verlässt sie die Bühne nach dieser Saison. Alles Beste! INFOS UND VORVERKAUF



DAS LIED DES TAGES



Von morgen an gibt es wieder neue Kolumnen.

Heute etwas aus dem Fundus:



DIE EINGESCHLOSSENEN

Die schönen Apriltage wären DIE Gelegenheit, nach einem jahrelangen Winter im Land hemmungslos in der Stadt herumzugehen. Oft aber, wenn ich gern übers Spazierengehen berichten würde, finde ich wegen des Berichtens keine Zeit fürs Spazierengehen.

Im September 2011, als das Herumgehen wetterbedingt noch eine Lust bescherte, erschien bei S. Fischer ein Buch mit literarischen Spaziergängen, Titel: "Auf buntbewegten Gassen". Lustigerweise bekam ich es schon früh in die Finger, weil der Herausgeber, Herr Geyer aus Frankfurt am Main, mit mir einst die Schulbank geteilt hatte. Diese Schulbank-Teilung sah so aus: Herr Geyer drückte die Schulbank, während ich spazieren ging im Glauben, in den Straßen oder im Stadtpark eine Dame zu treffen, die das Teilen einer Schulbank für so beschissen hielt wie ich.

Diese Erfahrung, eine Art Bildungsroman, liegt Jahrzehnte zurück, und damals wusste ich noch nicht, dass Spazierengehen Arbeit ist. Herr Geyer wusste es auch nicht, immerhin aber beschert ihm heute die Arbeit mit den Spaziergängern so viel Lohn, dass er sich ein Fahrrad leisten kann.

Spazierengehen war damals, als ich es illegal ausübte, nicht Arbeit. Mit dem gezielten Herumstrolchen habe ich erst in Stuttgart begonnen, in einer Stadt, wo die Dinge ungebremst ihren Lauf nahmen. Als sich nämlich nach vielen Jahren meines Herumgehens die Idee des Massenspazierengehens in den Straßen durchsetzte, ließ die Regierung Wasserwerfer auffahren, um jedes weitere Fortschreiten zu verhindern.

Es gibt die Redewendung, etwas sei "kein Spaziergang". Damit will man sagen, Spazierengehen sei die Fortbewegungsart der Weicheier, der Kraftlosen. So etwas fällt nur Leuten ein, die Spazierengehen für eine sinnlose Tätigkeit halten, als ging es um Tütenkleben in Stammheim oder Karrieremachen im Landtag.

In Wahrheit ist Spazierengehen gefährlich, und nicht etwa deshalb, weil einem unterwegs die Bluthunde der Parkschützer begegnen. Beim Herumgehen kommen einem Gedanken entgegen. Im Spaziergänger-Buch ist derr Denker Henry David Thoreau "verblüfft über ... die moralische Gefühllosigkeit" seiner Nachbarn, "die sich Wochen und Monate, ja ganze Jahre von früh bis spät in Büros und Werkstätten einschließen". Diese Moral, sich selbst aus den Straßen, den Parks und den Wäldern wegzuschließen, um der Realität aus dem Weg zu gehen, ist heute die Basis für Politik und Börse.

Thoreau hat stundenlanges Schlendern als unverzichtbar für die geistige und körperliche Gesundheit betrachtet. Denen, die glauben, Beine seien nicht zum Gehen, sondern zum Sitzen gemacht, sprach er "eine gewisse Anerkennung" aus, "weil sie ihrem Leben nicht schon längst ein Ende gemacht haben". Diesen Satz werde ich mir merken.

Das Herumgehen in der Natur ist allerdings etwas anderes als in der Stadt. In der Stadt zweifelt man bei genauem Hingucken an der geistigen Gesundheit der Mitmenschen, vor allem derer im Rathaus. Der Stadtspaziergang dient nicht der Erbauung. Vielmehr bringen einen die Beobachtungen im Freien dazu, in den Dachswald zu rennen, die Revolution in Angriff zu nehmen oder frühzeitig auf den Friedhof zu flüchten.

Als ich jetzt bei schönstem Wetter via Seilbahn auf dem Waldfriedhof landete, um die Gräber von Oskar Schlemmer (bildende Kunst), Robert Bosch (Wirtschaft) und Claire Heliot (Löwendressur) zu besuchen, traf ich auf dem Gebeinsacker keinen einzigen Menschen. Diese Einsamkeit tröstete mich. Es gibt schlechtere Spaziergänger als mich. Viele Leute gehen erst aus dem Haus, wenn der Bestatter ihnen die Beine hochgelegt hat. Damit wünsche ich mir einen erregenden April und Ihnen alles Weitere.



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