Bauers Depeschen


Sonntag, 20. Mai 2012, 914. Depesche



SOUNDTRACK DES TAGES



ALARM!

HAFEN-PICKNICK

Sonntag, 24. Juni: Flaneursalon-Show am Neckarufer



DER GASTBEITRAG ZUM HAFEN-PICKNICK

Bernhard Ubbenhorst, freier Journalist in Stuttgart, hat vom Hafen-Picknick des Flaneursalons gehört und mir diese schöne Geschichte gemailt:



NECKAR RELOADED

Von Bernhard Ubbenhorst



Seit Jahrzehnten wird er totgeschwiegen, der Neckar. Gezähmt und eingesperrt, gegängelt und versteckt. Nicht wenige Stuttgarter standen niemals an seinem Ufer. Obwohl die Cannstatter a. N. ihn stolz im Namen tragen, gelingt es auch ihnen nur selten, sich auf Tuch- oder Körperfühlung ihrem Fluss zu nähern. Zäune, Beton und steile Uferkanten allerorten – Durchgang verboten, Lebensgefahr. Man kann nur erahnen, wo unter all dem Pflaster der vielfach besungene Neckarstrand zu finden ist. Sicher nicht bei den künstlich aufgeschütteten Sandhäufen für Party-Touristen.

Dabei hat der Neckar eine große und schillernde Vergangenheit. Er trägt seinen Namen als der "Glänzende Fluss" – urkundlich belegt seit dem dritten Jahrhundert, mutmaßlich schon viel länger. Er heißt Nicar, Nechar, Nechra, Neckare, alemannisch schlicht Neger oder Negger – oder "John Silver", wie ihn der StN-Kolumnist Joe Bauer hin und wieder nennt. Die Dichter der Romantik füllten ganze Bände mit weinseligen Oden an den Glanz des Neckars, auch wenn sich diese nur selten auf die Gestade rund um Stuttgart beziehen. Zu selten entfernten sich die gelehrten Suffköppe weiter als eine Tagesreise von ihren Weinschenken in Heidelberg oder Tübingen.

Als Cannstatt sich im 18./19. Jahrhundert noch "Weltbad" nannte, war neben dem Thermalbad auch das Bad im Neckar sehr beliebt: bei Zaren, Kaisern und Königen und beim gewöhnlichen Volk ohnehin. Unweit des heutigen Stuttgarter Hafens, dem Schauplatz des Flaneursalons am Sonntag, 24. Juni am Neckarufer, kam es Mitte des 19. Jahrhunderts sogar zu einem höchst ungehörigen Bad am Neckarstrand. Schwaben sei bekanntlich "nicht erst seit heute Sitz und Sammelplatz der Phantasten, Sectirer, Schwärmer und Pietisten", bemerkte dazu ein unbekannter Autor 1867 in der "Gartenlaube". Ob im Jordan oder im Neckar – ein gewisser Herr Oncken aus Varel in Niedersachsen, so etwas wie der Gründervater der Baptisten in Kontinentaleuropa, befand damals, dass eine echte Taufe etwas für Erwachsene sei und in einem Fluss stattzufinden habe. An einem Abend tauchte er am Neckarstrand gegenüber von Gaisburg gleich reihenweise seine zahlreichen Stuttgarter Schäfchen kopfunter in die Fluten. Als Werk unchristlicher "Wiedertäufer" verschrien, sorgte diese Taufe im Fluss für einen gehörigen Skandal.

Damals gab es noch Neckarstrände, Neckarauen und sogar eine Neckarfischerei. Der nur bis dorthin schiffbare Neckar war in Cannstatt schon seit Römerzeiten eine wichtige Lebensader und das Tor zum Handel mit der Welt. Zu dieser Zeit hatten die Stuttgarter ihren Nesenbach längst zum Abwasserkanal degradiert, und die aufkommende Industrialisierung des 19. Jahrhunderts gab auch dem Neckar bald den Rest. Er fristete seitdem als Industrie-Kloake sein verstecktes Dasein. Die Grundstückslagen am Neckar waren nicht sonderlich begehrt, und der Glanz des Neckars verblasste schnell. Ihn zu besingen fiel niemandem mehr ein, zu kurz sind die Eindrücke, die man beim raschen Überqueren einer der zahlreichen Neckarbrücken gewinnt. Davon unbeeindruckt widmet sich Joe Bauer in Anlehnung an Robert Louis Stevensons Piraten „Long John Silver“ hin und wieder seinem "John Silver".

Auch die als ziemlich visionär bekannten Stuttgarter Stadtplaner versuchen seit kurzem, dem Neckar etwas abzugewinnen, vermutlich jedoch nur Bares. Neckarpark, Wohnen am Neckar, Neckarschwimmbäder und Neckar-Gastronomie fordert man allerorten; davon zu sprechen ist gerade modern. Es geht hierbei jedoch um die Standortaufwertung und Preistreiberei für zukünftige Immobiliendeals im Neckarpark. In den zukunftsorientierten Stuttgarter Amtsstuben werden die Verheißungen Lippenbekenntnisse bleiben. Höchste Zeit, dass die Stuttgarter Bürger jenseits der Immobiliengeschäfte ihren Neckar wiederentdecken und sich den Neckarstrand zurückerobern. "John Silver" hat es verdient. Ein Besuch des Hafenpicknicks im Flaneursalon-Ambiente wäre schon mal ein guter Anfang. Viele werden den Neckar dabei vermutlich erstmals aus der Nähe sehen.

Ahoi und bis dann!



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