Bauers Depeschen


Mittwoch, 21. März 2012, 878. Depesche



Scholz & Friends, damals noch mit Turner

SCHWULES FLEISCH



DIE BLAUE NACHT

Am Ostersamstag, 7. April, veranstalten wir in der Werkstattbühne des Stuttgarter Autohauses ALBRECHT & DEFFNER am Olgaeck unsere „Blaue Nacht“, einen garantiert werbefreien Abend zu Ehren von Freunden der Stuttgarter Kickers (und nicht nur für Fußballfans). Stargast ist der große Ruhr-Poet und Kabarettist Fritz Eckenga; es ist mir eine Ehre, ihn in der Stadt zu begrüßen, wollte ihn schon lange mal nach Stuttgart holen. Endlich hat es geklappt. Musik machen Roland „Countryboy“ Baisch und sein Gitarrenspieler Frank Wekenmann. Die Spielstätte ist Stuttgarts ältestes Autohaus, in diesem Gebäude hat einst einige Jahre Clara Zetkin gewohnt. Ich kenne den Ort und habe dort bereits mit einem Flaneursalon gute Erfahrungen gemacht. Der Vorverkauf läuft.



SOUNDTRACK DES TAGES



Heute etwas aus dem Repertoire:



VERSUCH ÜBER DIE FRESSBOX

Bei diesen Zeilen handelt es sich um eine Auftragsarbeit. Ich esse nicht gewohnheitsmäßig aus Pappschachteln. Ich wähle bei der Aufnahme heiß zubereiteter Nahrung meist einen mehrfach verwendbaren Behälter und achte seit der Lektüre von Hans Falladas Roman "Wer einmal aus dem Blechnapf frisst" auch auf Material und Umgebung.

Ein Wahrzeichen zeitgenössischer Einkaufskomplexe in Städten ist neben Saturn und ähnlichen Geiz-ist-geil-Bordellen zur Stillung der Kauflust der fernöstlich gestaltete Imbiss mit Essen aus Pappschachteln. Eine dieser Einrichtungen findet man im Königsbau am Schlossplatz. Das Geschäft firmiert als Asia Fast Food Restaurant und demonstriert die Überlegenheit der Investoren-Gastronomie gegenüber dem mittelständischen Wurstbudenbetreiber. Der Laden stinkt global.

Die Kombination der Begriffe Fast Food und Restaurant ist ein klassisches Oxymoron, ein Widerspruch in sich (wie etwa ein Koch ohne Neurosen). Dies sage ich im Bewusstsein meiner schlechten kulinarischen Bildung. Der Kochwahn in den Medien und unter Intellektuellen geht mir auf den Wecker. Ich glaube auch nicht an die Prophezeiung, die kulturellen Darstellungsformen der Zukunft reduzierten sich auf das Repertoire FKK: Fressen, Klamotten, Kunst. Im Kampf um ihre Küche bleiben gute Köche schon wegen ihres Dachschadens Jazzer bzw. Rock 'n' Roller.

Aus Pappschachteln essen ist cool. Im Internet stieß ich auf die Vorlieben einer Radiomoderatorin aus Rheinland-Pfalz mit dem schönen (und wahren) Namen Rebecca Mellone:

"Schlafen, Kunst, Bahnhöfe und Flughäfen, Radio, Tage am Meer, Kino, mich mit Horrorfilmen selbst zu Tode thrillen, Menschen mit Meinung, Helmut Schmidt, Irland, verliebt sein, pinke iPods, Marcs & Spencer, Placebo live, Essen aus Pappkartons."

Dieser Homepage-Eintrag ersetzt jede theoretische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Essen aus Schachteln. Nebenbei schärft das Geständnis, die Band Placebo, Helmut Schmidt und Essen aus Pappkartons zu lieben, das Profil der intelligenten Radiomoderatorin an sich.

Was mir bei meinem Versuch über die Fressbox noch fehlte, war das Experiment am eigenen Mann. Ich habe oft im Leben aus Kartons gevespert, kann mich aber heute kaum noch daran erinnern. Selbst von den vielen pappunterlegten, in gute Ketchup-Soße gebetteten Currywürsten blieben mir nur wenige im Gedächtnis. Die Currywurst kommt erst im bewusstseinserweiterten Zustand des Konsumenten zur vollen psychedelischen Wirkung.

Morgens um halb zehn, als der Imbiss von fünf vietnamesischen Arbeitskräften startklar gemacht wurde, verhandelte ich über eine Pappschachtel. Ich erhielt für 20 Cent ein Exemplar der berühmten Chinese Take Out Box, und zwar leer. Es ging mir darum, das Objekt chinesischer Faltkunst unbeschmutzt unter die Lupe zu nehmen. Pappe an sich ist nicht ehrenrührig. Auch handgenähte Schuhe, eine Rolex oder ein Meerschwein kauft man in Pappe zum Mitnehmen. Der von einem Draht zusammengehaltene Glücksbecher aus Asien (Fold Pack) ist acht Zentimeter tief, der Durchmesser am Ausgang ähnlich groß. Die weiße Zauberbox mit roten Tempelmotiven verfügt über Klappen: Der Napf hat einen Deckel. An den Kartonwänden liest man Enjoy (Genieße!) und Thank you (Vergelt's Gott!). In diesen Dingen kann man eine abgestürzte Amsel, einen geplatzten Hamster oder eine kollabierte Katze beerdigen. Allesamt verstorben, nachdem sie aus den Pappsärgen gefressen hatten.

Die Take Out Box, das Fresspaket zum Mitnehmen, ist hierzulande durch amerikanische Filme berühmt geworden. Ein Bulle sitzt im Wagen und beobachtet einen Hauseingang. Nichts tut sich. Schnitt. Der Gangster kommt aus dem Haus. Der Cop, die Nase über dem Lenkrad, fuhrwerkt inzwischen mit zwei Stäbchen im Hühnerfleisch- und Nudelberg seiner Fresspappe herum. Schnitt. Der Gangster beginnt zu rennen. Schnitt. Fünf, sechs heiße Nudeln fallen dem Bullen auf die Hose im Gemächt-Bereich. Er wischt, die Stäbchen in der Linken, das Zeugs weg und schießt, die Kanone in der Rechten, den Gangster zwischen die Schlitzaugen.

Derart dämliche Filmszenen gibt es. Und sie sind besser als alle Einstellungen mit Currywurst mampfenden Kommissaren in deutschen "Tatort"-Folgen. In der lässigen Take-Out-Box-Attitüde, der existenzialistischen Haltung des kulturellen Pappsattseins, spiegelt sich die humane Größe amerikanischer Kinohelden. Wer über dem Pappnapf schmatzt, hat sich für den harten Job zur schnellen Rettung der Welt entschieden. Er ist sich selbst nicht so wichtig, er bringt die Dinge in Ordnung. Wenn er gebraucht wird, interessiert ihn Tafelsilber einen Dreck. Der Hollywood-Held Jackie Chan schöpft regelmäßig Energie aus der Fressbox, und er ist stets biegsam wie eine Al-dente-Nudel.

Vor dem Asia-Imbiss im Königsbau stehen die Leute Schlange. Das billigste Gericht, Box-Hühnerfleisch mit Gemüse, kostet drei Euro neunzig. (Regenbogen California Lachs zu 8,90 Euro gibt es auf Kunststoffplatte mit Deckel.) Die Angestellten hinterm Tresen arbeiten flink. Wer von den Kunden viel Zeit hat, sitzt mit Blick auf die Rolltreppe an der Theke zwischen den Schaufenstern eines Schuh- und eines Klamottenladens. Er hat das Mobiltelefon am Ohr und die Stäbchen im Trichter. Vielleicht ist er cool. Womöglich auf Hartz IV.

Wie der Schnellproviant aus der Pappschüssel schmeckt, kann ich nicht beurteilen. Ich habe etwas Huhn mit Nudeln versucht, die Soße schmeckte exakt wie die Bestellnummern 114 a, 115 b und 2016 c in den sogenannten China-Restaurants. Genießbar ist diese Art Klärschlamm nicht. Auch nicht, wenn man einen Viertelliter rote Pfeffersoße darüber schüttet, das schleimige Zeug mit den Fingern greift und sich beim Kauen die Nase zuhält. Wenn das Leben nach Forrest Gump wie eine Schachtel Pralinen ist, könnte Essen aus der Pappschachtel das Ende sein. Was soll's. Es gibt Köche, deren Produkte auf Meißner Porzellan versagen.

Hätte ich die Wahl beim Gegen-die-Zeit-Fressen, entschiede ich mich immer noch für die Rote Wurst. Wurst mag uncool sein. Aber wir kennen sie vom Fußballplatz und brauchen für sie keinen Karton. Wir schieben die Rote zwischen die Hälften eines sogenannten Brötchens und verschlingen das ganze Ensemble.

Zum Kotzen, dass heute fast alle Brötchen wie Pappe schmecken.



FLANEURSALON LIVE

Der nächste Flaneursalon findet am Mittwoch, 9. Mai, im schönen Wirtshaussaal der Friedenau in Stuttgart-Ostheim statt. Es spielen Stefan Hiss, Roland Baisch, Anja Binder & Jens-Peter Abele. Vorverkauf siehe „Termine“. Auch in diesem Fall ist es ratsam, sich rechtzeitig um Karten zu kümmern, in Ostheim leben etliche treue Seelen.



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