Bauers Depeschen


Samstag, 02. Juli 2011, 750. Depesche



BAD BERG

Das Bad Berg ist bedroht. Dazu DIE AKTUELLE STN-KOLUMNE



Clint Eastwoods Geburtstag ist zwar schon wieder ein paar Tage her, aber dieser kleine Text nach wie vor aktuell:



MIT UND OHNE HUT

Es war kurz vor der Fußballweltmeisterschaft 2010. Die Saison der Stuttgarter Kickers ging dem Ende zu, es war nicht unsere beste Saison, und ich hatte wenig Skrupel, das letzte Spiel zu schwänzen. Es gab Wichtigeres zu tun. Am 31. Mai feierte Clint Eastwood seinen 80. Geburtstag, da gab es einiges zu klären, und keiner weiß, ob er am Mittag noch lebt, wenn er sich am Morgen Clint Eastwood vornimmt.

In Schwäbisch Gmünd, der paramilitärischen Ausbildungsstätte des Stuttgarter Oberbürgermeisters, wo ich hin und wieder zur Schule ging, wenn ich Zeit hatte, gab es ein Kino namens Pali. In diesem Filmpalast, einem schönen Schmuddelkino an der Ecke, liefen nur Western, und ich zweifle heute nicht daran, dass ich Clint Eastwood dort zum ersten Mal begegnet bin.

Es muss 1969 gewesen sein. Clint Eastwood war 39, ich fünfzehn und damit noch nicht berechtigt, in die entscheidenden Filme zu gehen. Sie hießen "Für eine Handvoll Dollar", "Für ein paar Dollar mehr" und vor allem "Zwei glorreiche Halunken" - der amerikanische Titel lautet weniger blöd "The Good, the Bad and the Ugly".

Diese Trilogie hat der Italiener Sergio Leone in den sechziger Jahren gedreht. Bald danach war ich in der Lage, eine dünne Zigarre vom linken in den rechten Mundwinkel zu rollen, ohne die Finger zur Hilfe zu nehmen. Das hat mich etwas sechs Chemiestunden und zwölf Einträge ins Klassenbuch gekostet. Wenn man Clint Eastwoods Zigarren-Technik beherrschte und wie Clint auch mit der Gesichtshaut unter dem Auge zucken konnte, kam man daher wie ein Mann und durfte Filme anschauen, die erst ab 16 oder 18 freigegeben waren. Der Kinobesitzer nahm das nicht so genau, es gab bei uns nicht viele glorreiche Halunken, die Clint-Eastwood-Filme sehen wollten.

Hätte sich unser Oberbürgermeister, er ist nur fünf Jahre älter als ich, in Schwäbisch Gmünd Clint-Eastwood-Filme angeschaut, hätte er heute vielleicht ein wenig Ehre im Leib. Lieber aber hat er sich für die örtliche Kirchenmusik starkgemacht - was nicht verwerflich wäre, hätte er nicht auf diese Art versucht, sich bei Gott einschzuleimen, weil er wusste: Eines Tages werde ich für ein paar Milliarden Dollar mehr eine Kathedrale namens Bonatz-Bau zerstören.

Es waren große Stunden im Pali, als Clint Eastwood zwischen den Fronten ritt, zwischen Korruption und Geldgier, um für Gerechtigkeit zu kämpfen. Clint Eastwood hat so gut wie nie geredet. Seine Kanonen sagten genug, und sein Gesicht sprach Bände. Er beherrschte, so sagte sein Regisseur Leone, zwei Gesichtsausdrücke wie kein Zweiter: einen MIT, einen OHNE Hut.

Es gibt Menschen, die sehen mit und ohne Hut gleich vielsagend aus. Dazu gehört der Oberbürgermeister von Stuttgart. Er hat seit Jahren nichts mehr gesagt, nur hin und wieder aus der Deckung heraus seine Gegner beleidigt. Als Clint Eastwood achtzig wurde, wollte ich der Stadt ins Gesicht sehen. Ich durchwühlte das Zeitungsarchiv. Aber ich konnte nicht viel finden über die Arbeit des Oberbürgermeisters. Kurz zuvor hatte er das Schweinemuseum im ehemaligen Schlachthof eröffnet. Dieser historische Auftritt ist allen aufgrund seiner einzigartigen Begabung als Redner in Erinnerung geblieben: Der Oberbürgermeister las den Namen seines Gastgebers sichtbar vom Zettel ab – allerdings falsch.

Ein depressives Grunzen im Publikum vernimmt man nicht nur bei seinen Staatsreden im Schweinemuseum. Als er bei einer Festivität auf der Baustelle der sogenannten Bibliothek 21 hinter dem Bonatz-Bahnhof auftrat, sprach er erregt vom "Spatenstich". Ein Sonnenstich kann's nicht gewesen sein. Es war noch kalt und Richtfest.

Oft, wenn ich im Pali saß, hat Clint Eastwood minutenlang kein Wort gesagt. Und dann ist ein Mann umgefallen. Der Mann war tot. Später, als ich in Stuttgart war und der Oberbürgermeister wieder zurück aus Schwäbisch Gmünd, hat der Oberbürgermeister oft eine ganz Stunde lang geredet. Und dann sind tausend Männer und Frauen umgefallen. Sie waren eingeschlafen.

Den Kern seiner Redekunst führte uns der Oberbürgermeister ebenfalls im Sommer 2010 vor. Es war ein harter, heißer Sommer. Da überreichte der amtierende Oberbürgermeister der amtierenden "Miss America" in Stuttgart einen Bildband. Da sprang er über seinen Schatten. Denn jeder Schnappschuss einer Klick-Klack-Kamera sagt mehr als eine einstündige Ansprache des Oberbürgermeisters. Ganz egal, welcher Ghostwriter oder Geisterbahnschreiber des Rathauses sie verbrochen hat.

Glauben Sie nicht, meine Damen und Herren, es habe keine Bedeutung, wenn ein Politiker nichts mehr sagt, wenn seine Saison zu Ende geht. Wenn ein Riss durch die Stadt geht, dann hat das mit der Unfähigkeit der Politiker zu tun, den Menschen im richtigen Moment etwas Richtiges zu sagen. Schweigen verstört. Schweigen provoziert.

Für die große Kunst, etwas zu sagen, ohne zu reden, braucht man ein Gesicht. Das weiß jeder gute Hut, und jetzt wissen Sie, warum der Oberbürgermeister keinen trägt.

SOUNDTRACK DES TAGES



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DIE STN-KOLUMNEN



NOTIZ

Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, dass die Zeitungsredakteure diese Woche drei Tage gestreikt haben (siehe Depesche vom 28. 6.) ... deshalb auch keine neue StN-Kolumnen.



NÄCHSTER FLANEURSALON

Ich darf einen speziellen Abend in der Reihe unserer Lieder- und Geschichtenshow ankündigen. Am Mittwoch, 28. September, machen wir in den Rosenau einen Abend mit vergleichsweise kleiner Besetzung, einen intimen Flaneursalon mit dem Songschreiber/Sänger/Saitenvirtuosen/Fußtrommler Zam Helga und der amerikanischen Sängerin Dacia Bridges. Könnte eine schöne Sache werden, eine familiäre Show mit pointierten leisen Tönen. Der Vorverkauf ist eröffnet: ROSENAU



KICKERS-SHOW

Fußball, Männer: Zum dritten Mal steigt „Hurra, wir kicken noch!“, die Unterstützer-Show für die Fans der Stuttgarter Kickers. Der Abend geht am Samstag, 6. August - am ersten Spieltag in der Regionalliga - im Stuttgarter Theaterhaus über die Bühne. 20 Uhr. Wir haben gute und vor allem hilfsbereite Künstler am Start; Stefan Kiss vom SWR-Fernsehen moderiert (unsereins organisiert und arrangiert). Alle spielen umsonst, der Einritt kostet zehn Euro – nur wenig mehr als eine Stehplatzkarte auf der Waldau. Der Vorverkauf ist bereits eröffnet. Siehe TERMINE und THEATERHAUS



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EDITION TIAMAT BERLIN (Hier gibt es mein Buch "Schwaben, Schwafler Ehrenmänner - Spazieren und vor die Hunde gehen in Stuttgart")

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