Bauers Depeschen


Dienstag, 05. August 2008, 200. Depesche

RECHTZEITIG zum 200-Depeschen-Jubiläum mal was Anderes - die Kurzgeschichte "Der Marlboro-Mann" erscheint in mehreren Folgen auf dieser Seite. Komplett wird sie im Herbst mit Beiträgen verschiedener Autoren in dem Buch "Smoke! Smoke! Smoke!" (Edition Tiamat, Berlin) veröffentlicht. Buch-Vorstellung ist am 4. November im Café des Theaters Rampe - es lesen Vincent Klink, Klaus Bittermann und meine Wenigkeit; Musik machen Los Gigantes.



DER MARLBORO-MANN

Von Joe Bauer



TEIL 2



ALS MARCEL DEN PAJERO erreichte, bemerkte er es erst, als er die Fahrertür geöffnet hatte. Die Scheibe neben dem Beifahrersitz war eingeschlagen. Der Kerl musste brutal zugeschlagen haben.

Marcel stieg aus und riss die Tür auf der anderen Seite des Wagens auf. Es schien nichts zu fehlen. Seine weiße Lederjacke, ein Souvenir aus Los Angeles, war noch da. Er erinnerte sich, dass er wegen Franziskas Portemonnaie gekommen war und suchte die Polster ab, den Boden, er griff mit den Fingern in die Ritzen. Die Mühe hätte er sich sparen können, das wusste er. Der Kerl hatte das Portemonnaie auf

dem Sitz liegen sehen und sofort zugeschlagen. Manche Typen auf dem Dorf, dachte er, tragen immer einen kleinen Hammer bei sich, eine Pumpgun oder etwas Sprengstoff.

Marcel ging zu Franziska zurück, er ließ sich Zeit. Er hatte einen Überfall zu melden. Franziska, sagte er mit seiner gut trainierten Stimme, jemand hat den Panjero überfallen. Mein Gott, ist mein Portemonnaie mit dem kleinen Telefon weg?, sagte Franziska. Ich habe nichts gefunden, sagte Marcel. Sie stand vor ihm, ihr Gesicht zuckte, ihre Augen schienen ihm ungewöhnlich groß, und sie fing an zu schreien: Du gottverdammtes Arschloch, du hast geraucht. Ich kann es riechen. Du hast deine verfickten Zigaretten geraucht, währen man mein kleines Telefon gestohlen hat. Marcel fuhr zusammen. Gottverdammtes Arschloch hatte sie nicht einmal vor fünfzehn Jahren gesagt, lange vor Robby, dem Pitbull. Und verfickte Zigarette hatte sie auch nicht gesagt, als sie selbst noch geraucht hatte, oft genug auch Gras. Als sie noch keine Kundenkarte für die Naturgut-Kette und keine Gucci-Jacken besessen hatte. Die Kundenkarte für Naturgut war jetzt auch weg.



MARCEL RIEF die Polizei an. Am besten, sagte der Beamte, er käme sofort auf die Wache. Marcel schlug Franziska vor, allein zur Polizei zu gehen, damit sie das Auto bewachen könne und nicht auch noch seine weiße Lederjacke gestohlen würde. Einen Dreck wirst du tun, sagte Franziska, du gehst nirgendwo allein hin. Du willst nur rauchen. Du denkst nicht an mich, du denkst nicht an die Kinder, du bist ein Schwein. Ohne meine Gagen, dachte Marcel, müssten die Kinder auf eine staatliche Schule gehen. Vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte vorhin, als er den Überfall entdeckte, die weiße Lederjacke angezogen und wäre weggefahren. Nach Amerika. Für immer.

Sie gingen zusammen zu den Bullen. Es war nur ein Beamter auf dem Revier. Er sagte, man werde sich das Auto ansehen, sobald seine Kollegen zurückkämen. In der Zwischenzeit könne man sich um die Formalitäten kümmern. Marcel nahm die folgende Stunde im Polizeirevier nicht wahr, er war auch nicht richtig da, als sie mit einem Polizistin und einem Polizistin zum Pajero gingen. Ihm war es sogar wurscht, ob die weiße Lederjacke noch da war. Ob er Drogen nehme, fragte ihn die Polizisten. Ja, giftete seine Frau, dieser Idiot raucht heimlich.

Auf dem Weg nach Hause fuhr Franziska den Panjero. Diese Machokarre frisst zu viel Sprit, sagte sie. Am nächsten Tag, als Marcel wieder klar denken konnte, fragte er Franziska, ob auch eine Kreditkarte in ihrem Portemonnaie gewesen sein. Ja, sagte sie, na und? Es geht um mein Telefon. Marcel rief bei seinem Banker in der Filiale der Volksbank auf dem Dorf an, wo sie ihr gemeinsames Konto hatten, seit er dort eine Fotografenlehre gemacht hatte. Ja, sagte der Banker, mit der Mastercard habe gestern jemand zweitausend Euro abgehoben, und zwar an einem Bankautomat in der Outlet-Metropole. Marcel bat ihn, das Konto zu sperren, legte auf und rief die Polizei der Outlet-Metropole an. Über den aufgebrochenen Wagen hätten sie noch nichts Neues in Erfahrung gebracht, aber die Sache mit der Kreditkarte werde untersucht. Ja, dachte Marcel, in Outlet-Metropolen gibt es nicht nur Gucci-Filialen. In Outlet-Metropolen gibt es auch Videokameras. Er setzte sich die Kopfhörer eines iPods auf, um den Text für seinen nächsten Dreh zu lernen, und hoffte, seine Frau werde heute möglichst lange auf einer Party die Event-Zicke geben.

ES WAR SIEBEN UHR abends, Marcel hatte, ohne zu rauchen, den Text für den "Tatort" gebüffelt, in dem er den Mörder spielte. Das Telefon klingelte. Der Bulle aus der Outlet-Metropole. Sie werden es nicht glauben, sagte der Mann in breitem Dialekt, wir haben den Mann, die Kollegen haben ihn heute Nachmittag in der Stadt festgenommen. Er wollte gerade einen Eisverkäufer im Schlosspark ausrauben. Stellen Sie sich vor, es ist Kallental. Schon wieder Kallental. Das glaub' ich nicht.

(Teil 3 heute um Mitternacht)

Kontakt



- Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten:

www.stuttgarter-nachrichten.de/joebauer



- Nächster Flaneursalon am Dienstag, 19. August, beim Zeltfestival in Ditzingen. Mit Los Gigantes, Dacia Bridges & Alex Scholpp. 20 Uhr. Siehe Termine.





 

 

Auswahl

27.08.2022

24.08.2022

22.08.2022
17.08.2022

14.08.2022

10.08.2022
07.08.2022

06.08.2022


Depeschen 2281 - 2310

Depeschen 2251 - 2280

Depeschen 2221 - 2250

Depeschen 2191 - 2220

Depeschen 2161 - 2190

Depeschen 2131 - 2160

Depeschen 2101 - 2130

Depeschen 2071 - 2100

Depeschen 2041 - 2070

Depeschen 2011 - 2040

Depeschen 1981 - 2010

Depeschen 1951 - 1980

Depeschen 1921 - 1950

Depeschen 1891 - 1920

Depeschen 1861 - 1890

Depeschen 1831 - 1860

Depeschen 1801 - 1830

Depeschen 1771 - 1800

Depeschen 1741 - 1770

Depeschen 1711 - 1740

Depeschen 1681 - 1710

Depeschen 1651 - 1680

Depeschen 1621 - 1650

Depeschen 1591 - 1620

Depeschen 1561 - 1590

Depeschen 1531 - 1560

Depeschen 1501 - 1530

Depeschen 1471 - 1500

Depeschen 1441 - 1470

Depeschen 1411 - 1440

Depeschen 1381 - 1410

Depeschen 1351 - 1380

Depeschen 1321 - 1350

Depeschen 1291 - 1320

Depeschen 1261 - 1290

Depeschen 1231 - 1260

Depeschen 1201 - 1230

Depeschen 1171 - 1200

Depeschen 1141 - 1170

Depeschen 1111 - 1140

Depeschen 1081 - 1110

Depeschen 1051 - 1080

Depeschen 1021 - 1050

Depeschen 991 - 1020

Depeschen 961 - 990

Depeschen 931 - 960

Depeschen 901 - 930

Depeschen 871 - 900

Depeschen 841 - 870

Depeschen 811 - 840

Depeschen 781 - 810

Depeschen 751 - 780

Depeschen 721 - 750

Depeschen 691 - 720

Depeschen 661 - 690

Depeschen 631 - 660

Depeschen 601 - 630

Depeschen 571 - 600

Depeschen 541 - 570

Depeschen 511 - 540

Depeschen 481 - 510

Depeschen 451 - 480

Depeschen 421 - 450

Depeschen 391 - 420

Depeschen 361 - 390

Depeschen 331 - 360

Depeschen 301 - 330

Depeschen 271 - 300

Depeschen 241 - 270

Depeschen 211 - 240

Depeschen 181 - 210

Depeschen 151 - 180

Depeschen 121 - 150

Depeschen 91 - 120

Depeschen 61 - 90

Depeschen 31 - 60

Depeschen 1 - 30




© 2007-2024 AD1 media ·