Bauers DepeschenMontag, 07. Juli 2008, 186. DepescheMITTERNACHTSDEPESCHESechseinhalb Stunden bin ich am Freitag mit Frau Mirjam mit jott und vierhundert ehrlichen Rentnern auf dem 105 Meter langen, für Passagiere umgebauten Frachtschiff Hanna Krieger auf dem Neckar gefahren. Von Plochingen nach Benningen/Marbach, 45 Kilometer, zehn Schleusen. Der Kahn tuckerte als Inszenierung der KulturRegion Stuttgart unter dem Titel "Oberwasser Unterwasser" flussabwärts. Darüber werde ich noch berichten - und über die Idee eines Herrn namens Jürgen Palmer, das Touristenpublikum mit seiner Vorstellung von Kunst zu malträtieren, es an Bord mit literarischen und wohl leider auch eigenen, akustisch meist unverständlichen Texten aus Lautsprechern zu quälen. Eine Schifffahrt, die wär' lustig... Vorher aber muss ich noch eine kleine, wahre Geschichte loswerden, nachdem neulich meine alten Wegbegleiter Michael Gaedt und Roland Baisch unabhängig voneinander und beinahe gleichzeitig ihre wunderbaren, vom Tübinger Instrumentenbauer Rudi Blazer gefertigten Akustikgitarren versehentlich geschrottet haben. BAR ODER CASH Bei Musikkritikern liest man oft den Satz, der Song X des Sängers Y habe ihnen das Leben gerettet. Vermutlich hat das damit zu tun, dass diese Menschen aus Selbstverliebtheit mit Selbstmord kokettieren. Johnny Cash konnte ich früher nur nachts hören oder in gut gedimmten Räumen. Seine späten Songs, die er von 1994 an auf den Alben der "American"-Serie aufgenommen hat, haben mir bei Tageslicht oft den Tag versaut. Da war ich nüchtern. Nachts aber spendeten sie Trost, und im Morgengrauen hatte ich mich damit abgefunden, irgendwann zu sterben. Danach wird einem zwar niemand einen Film widmen, aber man wird im Himmel oder in der Hölle die Melodie von "Walk the Line" pfeifen und sagen: Wer Johnny Cash gemocht hat, war auch in der Lage, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Nachdem sich Johnny Cash neun Jahre vor seinem Tod darauf eingelassen hatte, mit seiner Gitarre und dem Rock- und HipHop-Produzenten Rick Rubin noch einmal ins Studio zu gehen, liefen viele ideologische Heuchler zu ihm über. Typen, die ihn zuvor als konservativen Cowboy, als unbelehrbaren Redneck-Ami geächtet hatten. Diese Schöngeister tauchten vornehmlich aus ihren Löchern auf, als der Liebesfilm "Walk the Line" in den Kinos lief. Vor ein paar Jahren fand an einem Sonntag im Stuttgarter Filmhaus eine "Tribute"-Matinee zu Ehren Johnny Cashs statt. Es waren nicht viele Leute da, und ich weiß noch, dass neben mir zufällig Stuttgarts oberster und amtlicher Kneipen-Inspizient Gerhard Goller saß, was meinen alten Verdacht erhärtete, dass die letzten Cowboys im Ordnungsamt sitzen. Bei dieser Veranstaltung waren unter anderem TV-Ausschnitte einer Peter-Alexander-Show zu sehen: der österreichische Schlagersänger auf dem Bock einer Pferdekutsche, neben ihm Johnny Cash – zusammen trällerten sie ein Lied. So geht Rock'n'Roll. Im Jahr 1983 gastierte Johnny Cash in der Böblinger Sporthalle. Wenige Tage vor der Show traf im Stuttgarter Musikhaus Hans Schweizer ein Mann mit einer angeschlagenen Gitarre ein. Er war ein Bote Johnny Cashs, der zuvor in Skandinavien sein Instrument so hart gegen einen Mikrofonständer geschlagen hatte, dass ein Stück herausgebrochen war. Hans Schweizer, damals in der Christophstraße ansässig, ist in der internationalen Musikerszene berühmt für seine US-Importe und seinen Service. Er brachte die Westerngitarre, eine Martin, zu einem Geigenbauer in die Schwabstraße. Dieser Mann - er wohnt nicht mehr in Stuttgart - reparierte Johnny Cashs Gitarre so kunstvoll, dass von dem Schaden anschließend nichts mehr zu sehen und zu hören war. Wirklich gute Gitarren, hat man mir gesagt, lassen sich immer so leimen, dass von ihrem ursprünglichen Klang nichts verloren geht. Am Tag der Böblinger Show, am 4. November 1983, brachte Hans Schweizer - er residiert heute an der Ecke Wilhelm-/Olgastraße - die Martin in Johnny Cashs Garderobe. Der Sänger begutachtete das Stück und bat seinen Tour-Manager, die Rechnung zu begleichen. Der Manager sagte: "Wollen Sie das Geld in bar?" Schweizer reagierte mit dem besten Reflex seines Lebens: "Heißt der Mann Johnny Cash", sagte er, "oder Johnny Scheck?" - Der Flaneursalon an diesem Mittwoch, 9. Juli, im Hinterhof Brennerstraße 23 ist ausverkauft. Nächster Stuttgart-Termin: 15. Oktober, Theaterhaus. - Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten: www.stuttgarter-nachrichten.de „Kontakt“ |
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