Bauers Depeschen


Samstag, 08. September 2012, 973. Depesche

TAGEBUCHNACHTRAG

Viel zu tun. Leider keine Zeit, die Homepage neu zu bestücken. Die Lesepause könnte das werte Publikum nutzen, sich für den Erwerb von extrem günstigen Flaneursalon-Karten zu entscheiden. Das wäre sehr freundlich und hilfreich fürs Leben.



ALLES LIVE

Der Flaneursalon ist eine Mix-Show mit Popsongs, Rap und vorgetragenen Geschichten - ein Live-Abend mit Humor, schnellen Schnitten und reichlich Abwechslung. Am Dienstag, 25. September, sind wir im Speakeasy, Rotebühlpatz 11 - mit dem Rapper Toba Borke und seinem Beatboxer Pheel, mit der Balladensängerin Dacia Bridges und ihrem Gitarristen sowie dem Sänger/Songschreiber Zam Helga. Karten zu 12 € gibt es Di - Sa im Plattencafé Ratzer Records im Leonhardsviertel (neben dem Brunnenwirt) und im Internet: EVENTBÜRO



SOUNDTRACK DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



DAS WAR'S

Morgens in ihrer Leere ist die Stadt voller Unorte. Morgens sieht man sie besser. Aus der U-Bahnstation Rotebühlplatz hinauf an die Septembersonne. Nach ein paar Schritten stehe ich vor dem Gebäude CityPlaza. Ursprünglich hieß es „Häussler CityPlaza“. Seit der Immobilienfürst insolvent ist, taugt sein Name nicht mehr als Fassadenschmuck. Kann er froh sein. Die Architektur seiner Hinterlassenschaft ist zum Vergessen.

Vor zehn Jahren, im Oktober 2002, wurde der Bau eröffnet. Streng genommen bedeutet City Plaza zentraler Platz. So gesehen passt der läppische Name. Der Büro- und Geschäftskomplex mit Discounter, Kebab-Bude und Billig-Bäcker im Erdgeschoss steht symbolisch für die Betonkasten-Politik einer von Investoren beherrschten Stadtplanung. Entsprechend klingt die Kombination CityPlaza: typisch stuttgarterisch, um Beachtung bettelnd. Hallo, Welt!

Der Popstar Max Herre, in Stuttgart geboren, hat ein neues Hip-Hop-Album veröffentlicht. Es heißt „Hallo Welt!“ (und klingt auch so). Als ich die Plakate für die Platte sah, empfand ich sie als Aufforderung: Atme die schlechte Luft am Rotebühlplatz, an dem Ort, wo der Radio-Barth war.

Max Herre lebt seit zehn Jahren in Berlin. Er ist ein erdverbundener Familienmensch, in seinem Lied „1992“ rappt er: „Das Jahr ist 92 und die Zukunft ne goldene / Da saß ein Junge in Stuggi, der was dazu tun wollte / Man fand ihn immer, daheim in seinem Zimmer / Er nickte mit dem Kopf und schnippte mit dem Finger . . .“

Als sich Max Herre 1992 noch den Rhythmus seiner Idole einverleibte, gelang einer Stuttgarter Hip-Hop-Band ­namens Die Fantastischen Vier der Durchbruch. Vor zwanzig Jahren eroberte ihre Nummer „Die da“ die Charts.

Damals stand am Rotebühlplatz noch das Gebäude der Firma Radio-Barth. 1966 war es nach den Plänen des Architekten Paul Stohrer fertiggestellt worden. Der Radio-Barth war früher nicht nur die erste Adresse für Elektrogeräte, Schallplatten und elektrische Instrumente. Bis in die frühen Achtziger hinein diente er Musikern, Disco-Freaks und vor allem Fußballspielern vom VfB und den Kickers als Tratschtreff. Stars wie Buffy Ettmayer, Hansi Müller und Horst Haug waren Stammgäste.

Heute ist der Radio-Barth eine Legende. In Haus arbeiteten aus­gewiesene Jazz-, Pop- und Klassik-Experten, darunter der Plattenverkäufer und DJ Herbert Kühner und der bis heute erfolgreiche Instrumentenhändler Hans Schweizer.

Als der Radio-Barth 1995 schließen musste, geschah das Stuttgart-Wunder. Da bis zum Abriss des Gebäudes mit seinen Bauhaus-Anleihen und seiner 35 Meter hohen Antenne auf dem Dach noch fünf Jahre vergehen sollten, waren die Räume günstig zu mieten. Videoproduzenten, ­Modemacher und andere junge Medienleute ­zogen ein, auch das 0711-Büro der Studenten Johannes Strachwitz und Jean Christoph „Schowi“ Ritter. Deren Räume wurden schon bald als Zentrum des neuen deutschen Hip-Hop berühmt. Gruppen wie Massive Töne und Freundeskreis starteten hier ihre Karriere. Als clevere Typen vom Firmenschild Radio-Barth die letzten beiden Buchstaben abmontierten, war auch die wichtigste Verpflegungsstation des Hauses und der Stuttgarter Szene geboren. Die Radio-Bar.

Zum Thekenpersonal gehörte ein gewisser Thomas Tuchel, zuvor ein eher mäßig erfolgreicher Profi bei den Kickers und danach BWL-Student. Heute ist er Cheftrainer des Erstligisten FSV Mainz 05.

In diesem irren Haus des Aufbruchs wurde auch Max Herre groß, er war Frontmann von Freundeskreis; die Band verkaufte eine Menge Platten. Wie in Stuttgart üblich, entwickelte sich das Ganze in der Stadt unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Kulturpolitiker orientierten sich eher an den Aula-Darbietungen ihrer Schulzeit. Von der deutschen Hip-Hop-Hauptstadt Stuttgart bekamen sie nichts mit. Als Die Fantastischen Vier Ende der Neunziger ihren zehnten Geburtstag auf dem Schlossplatz feiern wollten, ließ man sie nicht auf das Gelände. Hip-Hop war Schmuddel.

Im Sommer 2000 fuhren die Bagger vor dem Radio-Barth-Gebäude auf. Der Abriss begann. Max Herre singt in „1992“: „Zurück in den Tagen, uh Mann, was für n Spaß / Der Rest ist ­Geschichte, das war’s!“

Uh, Mann. Im kommenden Jahr wird der Junge aus Stuggi vierzig.



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